Zum höchstgelegenen See der Welt
Zwischen künstlichen Inseln und tief verwurzelten Traditionen
Schwimmende Inseln, strickende Männer – hat der See eigentlich auch Anderes zu bieten? Wir haben’s ausprobiert.
Meter für Meter zieht Felix das dünnmaschige Netz aus dem Wasser. Das Fischerboot schaukelt ein wenig und hinterlässt kleine Wellen auf der sonst spiegelglatten Oberfläche. Kristallklar und tiefblau breitet sich der Titicacasee um uns herum aus. Still ist es, nur das sanfte Puckern des Wassers gegen die Bootswand ist zu hören. Uns fröstelt etwas in der kühlen Morgenluft.
„Poco“, kommentiert Felix einsilbig – „wenig“ – und zeigt auf ein paar Fischchen, die er schon ins Boot gezogen hat. Es gebe nicht mehr so viel Fisch wie früher… Immerhin: Rund 30 suche und carachi, so heißen die fingerlangen, einheimischen Fische, liegen bereits vor seinen Füßen. „Almuerzo“, sagt er und grinst – „Mittagessen“. Dass einer der Bootsinsassen lieber vegetarisch essen möchte, kann er nicht verstehen. „Alergia?“, fragt er und runzelt die Stirn. Nein, ethische Gründe. Felix lacht schallend. Für solche Sperenzchen hat man hier wenig Verständnis – in der Gegend wohnen hauptsächlich Selbstversorger, die von Fischfang und Landwirtschaft leben.
Titicacasee, um den sowohl Quechua als auch Aymara sprechende Einheimische ansässig sind, ist der größte Hochlandsee der Erde und mit 3810 Metern über dem Meeresspiegel das höchste schiffbare Gewässer. Seine Fläche, die sich stolz im Hochlandplateau zwischen Peru und Bolivien erstreckt, soll 13 Mal so groß wie der Bodensee sein. Obwohl das Wasser mit 7-12 Grad nicht eben sommerlich warm ist, dient es als Wärmespeicher für die umliegenden Böden. In der Bauerngemeinde Llachón, auf der Halbinsel Capachica nordwestlich von Puno, können die Einheimischen so Kartoffeln, Hülsenfrüchte, Getreide und Gemüse anbauen. Auf der Halbinsel gibt es keine Hotels, Touristen übernachten in Gästezimmern bei Familien. Eine schöne Gelegenheit, ihnen – wie wir heute – bei den täglichen Arbeiten über die Schulter zu schauen.
Nicht ohne Stolz erzählt Gastgeber Felix von seiner harten Arbeit. Mit Pension, Fischfang und Landwirtschaft hat er viel zu tun. Sein idyllisch gelegenes Häuschen mit Restaurant, Gästezimmern und Panoramablick auf den See hat er vor 10 Jahren allein begonnen aufzubauen. „Keine einzige Hand hat mitgeholfen“, erzählt er. „Die Felsbrocken da unten“ – er zeigt den steilen Hang hinab – „sind von mir. Die Plattform, auf der mein Haus steht, musste ich erst frei sprengen.“ Plötzlich muss er wieder lachen: „Terrorist haben sie mich im Dorf genannt!“
Inselhopping all inclusive oder Reisen auf eigene Faust?
Obwohl einige der Familienpensionen inzwischen im Reiseführer zu finden sind, trifft man bislang nur selten Touristen auf der Halbinsel. Hauptattraktionen vom peruanischen Puno aus, wo die meisten Ausflüge starten, sind nach wie vor die schwimmenden Schilfinseln der Urus, einem hier heimischen Volk, sowie die Inseln Amantaní und Taquile, die meist in Kombitouren und ebenfalls mit Übernachtung bei Einheimischen angeboten werden. Allerdings wollen die Reiseagenturen sorgfältig ausgewählt sein, falls man nicht gerade darauf erpicht ist zu erleben, zu welch haarsträubenden Erfahrungen Massentourismus führen kann. Auch wir besuchten auf der Bootsfahrt nach Llachón eine Uru-Insel, doch was wir sahen, weckte nicht gerade Lust auf Weiteres: Mini-Inselchen aus totora-Schilf, die innerhalb einer Stunde von hundert Besuchern überflutet wurden. Die Inselbewohner wurden präsentiert wie museale Ausstellungsstücke, die angeblich nur Aymara sprechen (was bei Touristen wohl authentischer zu wirken scheint). Was sie uns darboten, glich mehr einem skurrilen Theaterspiel als seriösen Informationen. Wie man das Geschichtsbild mit dieser offenbar nur für Touristen aufbereiteten Szenerie derart verfälschen konnte – und all dies augenscheinlich mit Erfolg – konnten wir nur schwer nachvollziehen. Beeindruckend blieben nichtsdestotrotz die Bauweise der Inseln und die damit verbundene kulturelle Leistung. Die Urus, von anderen Völkern unterworfen und ohne Recht auf Landbesitz, begannen ursprünglich, sich auf den See zurückzuziehen, um sich z.B. vor benachbarten, kriegerischen Stämmen zu schützen.Ob sie heute noch dort wohnen blieben, wenn nicht täglich Hunderte Touristen Kurs auf ihre Inseln nähmen, ist umstritten… Während die einen gern erzählen, dass sie den Umzug aufs Festland hartnäckig verweigerten, lauten andere Varianten, dass es sich für sie nur lohne, dort zu bleiben, weil sie den Tourismus als Einnahmequelle für sich entdeckt hätten. Wer auch immer Recht haben mag – ersteres vermittelt gewiss einen Eindruck von kultureller Verwurzelung, Ursprünglichkeit und Standfestigkeit und verkauft sich wohl besser.
Andere Reisende berichteten uns, welch schöne Landschaften und bewundernswerte Handarbeiten sie – vom Touristen-Rummel einmal abgesehen – auf der Insel Taquile vorfanden, die landesweit für ihre äußerst feinen und edlen Arbeiten aus Wolle bekannt ist. Die Frauen weben, Stricken ist Männersache, weshalb das Eiland auch „Insel der strickenden Männer“ genannt wird. Amantaní und Taquile beherbergen Ruinen der Tiwanaku- und Inka-Kultur. Auch Bräuche und Lebensweisen auf der Inseln erinnern stark an Jahrhunderte alte Traditionen. So berufen sich die Bewohner z.B. auf die zur Inka-Zeit geltenden Gebote ama sua, ama lulla, ama quella („nicht stehlen, nicht lügen, nicht faul sein“) und verzichten auf Polizeipräsenz. Auf Amantaní, wo Tourgäste meist übernachten, gibt es keinen Strom, was den Ausflug sicher zu einem urigen Erlebnis macht. Wer die stillen Ecken der Inseln in Ruhe und ohne Menschenschwärme kennenlernen möchte, wird sich bei der deutschstämmigen Reiseleiterin Inka Anders und deren Partner Ivan Nuñez gut aufgehoben fühlen. Das Paar führt zusammen die Reiseagentur Viveandes, die Touren durch ganz Peru und Bolivien organisiert und besonders auf die Region um den Titicacasee spezialisiert ist.